Im Rahmen unseres Geschichtsprojekts besuchten acht Jugendliche aus Wittichenau am ersten Novemberwochende die Stadt Hamburg. Die Exkursion sollte sie auf die Spuren der jüdischen Familie Hilsenrath führen, die 1938 aus Wittichenau geflüchtet ist. 2010 hatte ein Projektteam unseres Stammes zum Schicksal zweier jüdischer Familien aus Wittichenau im Nationalsozialismus geforscht. Damals hatten sich die Recherchen auf Familie Neufeld konzentriert. In diesem Jahr wollte das Projektteam nun noch den Spuren der Familie Hilsenrath nachgehen. Auf einer Passagierliste hatten wir Einträge zu Mutter und Kindern Hilsenrath entdeckt. Demnach waren die vier Familienmitglieder im Frühjahr 1938 von Hamburg nach Buenos Aires aufgebrochen. Wo die Familie Europa verließ, begaben wir uns auf ihre Spuren. Auf einem großen Areal an der südlichen Stadtgrenze schuf der Reeder Albert Ballin 1898 die Auswandererhallen, von denen aus bald tausende Auswanderungswillige in die neue Welt aufbrechen sollten. Die Auswanderer konnten mit Zügen direkt bis zu den Hallen gelangen. Dort konnten sie ohne Kontakt zur Innenstadt versorgt und zu den Schiffen gebracht werden. Zudem erleichterte die zentrale Unterbringung die Kontrolle der Auswanderer. Hamburg musste sich fortan weniger um überfüllte Quartiere, Seuchengefahren oder Betrügereien im Zusammenhang mit Auswanderern sorgen. In drei rekonstruierten Gebäuden ist nun Hamburgs meistbesuchtes Museum untergebracht: das Auswanderermuseum "Ballinstadt". Wir gehörten am Samstagmorgen zu den ersten Gästen. Bei einem Auswandererspiel durften wir selbst in die Rolle von Auswanderern schlüpfen und waren aufgefordert, uns an mehreren Stationen in der Ausstellung in ihre Lage zu versetzen. Dabei wurden wir im Spiel vor vergleichbare Fragen zu Organisation und Ablauf der Ausreise gestellt. Die Antworten beeinflussten den Fortgang der Emigration. In der Ausstellung befassten wir uns mit den Beweggründen der vielen Auswanderer, die in der zweiten Hälfte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Europa verließen. Dabei nahm das Schicksal der Juden zur Zeit des Nationalsozialismus nur einen Teil der Ausstellung ein. Wir erfuhren, wie es den Auswanderern, während ihres Aufenthaltes in Ballinstadt erging und welchen Strapazen sie während der Überfahrt ausgesetzt waren. Besonders eindrücklich war die Szenerie im Nachbau eines Schiffsrumpfs. Hier hatten die Auswanderer auf äußerst engem Raum, ohne Tageslicht, auf dem Zwischendeck zu hausen, während die Passagiere erster und zweiter Klasse in luxuriösen Kabinen untergebracht waren und frei über die Decks flanieren konnten. Mit Hörstationen, an denen Auswanderer ihre Geschichte erzählten, mit Videoeinspielungen, zahlreichen Fotos und Originaldokumenten war die Ausstellung überhaupt sehr anschaulich gestaltet. Wir entdeckten eine Postkarte und in einer weiteren Vitrine ein Mützenband und Broschüren des Dampfers "Cap Arcona", mit dem auch Hilsenraths nach Argentinien geflohen waren. Im letzten Ausstellungsraum lasen wir außerdem, wie es den Auswanderern in ihren Zielländern erging. In Buenos Aires seien die Immigranten zunächst in einem großen Hotel untergekommen. Bis zu 4000 Einwanderer sollen dort versorgt und auf ihr neues Leben in Argentinien vorbereitet worden sein. Heute ist in dem "Hotel de los Inmigrantes" ein Einwanderermuseum untergebracht. Für unsere Projektgruppe war der Besuch im Museum "Ballinstadt" insofern bereichernd, dass wir uns mithilfe der Ausstellung ein Bild von den Umständen machen konnten, unter denen viele Juden in den 1930er Jahren eine Emigration auf sich nahmen. Zudem konnten wir einige wenige, neue Rechercheansätze mit nach Hause nehmen. Nach unserem Besuch im Museum fuhren wir zur Universitätsbibliothek. In einem großen Gruppenraum arbeiteten wir an unserem Geschichtsprojekt. Eine Gruppe entwickelte Methoden und Arbeitsmittel um die bisher gewonnenen Erkenntnisse über die Wittichenauer Juden, die Umstände ihrer Flucht oder Deportation, in den Geschichtsunterricht an der Schule einbringen zu können. Die andere Gruppe arbeitete Literatur zur Emigration der Juden zur Flucht nach Argentinien durch, befasste sich mit den Schikanen der Nazis für die Ausreisewilligen und damit, wie Argentinien die Juden empfing. Die mehrstündige Arbeit an dem schweren Stoff fiel uns nach dem Studium der Ausstellung am Vormittag nicht leicht. Doch trotz langsam einsetzender Müdigkeit kamen wir mit unseren Recherchen voran.