Ein Jahr lang haben wir uns mit dem Schicksal jüdischer Familien in Wittichenau in der Zeit des Nationalsozialismus befasst. Nun fand das Projekt mit der Verlegung von fünf Stolpersteinen für Familie Neufeld seinen Abschluss. Trotz schweißtreibender Hitze versammelten sich am 26. Juli 2012 gut 100 Interessierte in der Wittichenauer Hosker Straße 30. Sie wollten mitverfolgen, wie der Kölner Künstler Gunter Demnig fünf Stolpersteine für Hermann, Zipora, Rosa, Klara und Rut Neufeld ins Pflaster des Bürgersteigs einsetzt. Die Familienmitglieder hatten hier bis 1937 gewohnt, bevor sie zum Umzug in eine kleine Kammer gezwungen, später nach Polen abgeschoben und in Galizien ermordet wurden. In der Gedenkfeier zur Verlegung stellte unser Projektleiter Eric Schimann zu Beginn ein Schild in die Mitte der Anwesenden; "Auszug der Juden nach Palästina" stand darauf geschrieben. Solch ein Schild stand nach Aussage mehrerer Zeitzeugen in der NS-Zeit auf dem Wittichenauer Marktplatz, erklärt Eric. Kindern wurden damals Spottlieder auf die Juden gelehrt. Schmähschriften waren öffentlich ausgehängt. Eric macht deutlich: auch in Wittichenau wurden Juden ausgegrenzt. Nach unseren erfolgreichen Recherchen sind die Wittichenauer Juden für uns nicht mehr nur eine Nummer in einem Register. Unter 6 Mio. ermordeten Juden während der NS-Herrschaft sollte ihr Schicksal nicht untergehen. "Wir wollten ihnen ihre Identität zurückgeben", sagt Eric, "deshalb legen wir heute diese fünf Stolpersteine." Sie tragen die Namen der Familienmitglieder, erinnern an ihre Geschichte, mahnen vor den Repressalien, denen Neufelds ausgesetzt waren.
Routiniert setzt Gunter Demnig Stein neben Stein, kehrt Beton in die Fugen und poliert die Messingplatte auf der Oberseite der Steine blank. Etwa 36.000 dieser Gedenksteine hat er bereits europaweit verlegt. Es ist nicht das erste Mal, dass eine Initiative zur Verlegung von Stolpersteinen von Jugendlichen ausgeht. Doch erst zum zweiten Mal hätte ihn mit den Wittichenauern eine Pfadfindergruppe um eine Verlegung gebeten. Als die Steine bündig im Trottoir liegen, treten wir Pfadfinder neben selbst gefertigte Silhouetten der Eltern und Kinder Neufeld; stellen vor, wem die neuen Stolpersteine gewidmet sind. In der ersten Reihe der Zuschauer sitzen die letzten Zeitzeugen, darunter ehemalige Klassenkameraden von Rut und Klara Neufeld. "Eines Tages kamen Neufelds Kinder nicht mehr in die Schule", berichten sie. "Familie Neufeld war einfach weg." Dass ihr Verschwinden auch ihren Tod, ihre Ermordung durch die Nationalsozialisten bedeutete, hat damals kaum jemand realisiert. In einem pantomimischen Anspiel schlagen wir zum Abschluss der Gedenkfeier einen Bogen ins Jetzt. "Wehret den Anfängen! Schaut nicht weg!", lautet unser Appell.